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Schuld sind immer die Anderen - alltägliche Rücksichtslosigkeiten beim Gassi und wie du es besser machen kannst

"Der tut nix!" Kennt ihr, nicht? Bestimmt jeder hat diesen unsäglichen Spruch garantiert schon mehrmals gehört. Dabei ist er nichts anderes als eine faule Ausrede für "Der hört eh nicht, wenn ich ihn rufe". Was an sich ja nicht schlimm ist. Nur gilt dann: Ohne Training kein Rückruf. Ohne Rückruf kein Freilauf! Und auch deine Haftpflicht entbindet dich nicht von deiner Verantwortung!

Im Training wird gelernt: Wende dich zu mir, auch wenn du etwas Spannendes in der Hand eines Fremden siehst!
Im Training wird gelernt: Wende dich zu mir, auch wenn du etwas Spannendes in der Hand eines Fremden siehst!

Wenn ich mit meinem Hund Gassi gehe, gibt es eine einzige Regel, die unumstößlich ist, und zwar seit Welpe an: Wenn uns irgendetwas Lebendes entgegenkommt – ein Mann, eine Frau, ein Kind, Jogger, Fahrradfahrer, Skater, ein Pferd, ein Hund an der Leine oder anderes –, dann ist das das auslösende Signal für das Verhalten: „Komm bitte zu mir und bleib an meiner Seite, bis wir an dem anderen Lebewesen vorbei sind. Danach darfst du wieder freilaufen.“ Sollte er mal nicht so reagieren, weil er gerade anderweitig vertieft ist, oder nicht schnell genug, dann erinnere ich ihn daran, in dem ich ihn anspreche und ein entsprechendes Wortsignal gebe. Das klappt eigentlich immer. Als Belohnung für sein Verhalten holt er sich einen Keks ab und darf danach wieder frei durch die Gegend hüpfen. Das ist auch gleichsam der Verstärker dafür, dass er dieses Verhalten immer wieder freiwillig und gerne ausführt.

 

Der gehorcht aber super! 

Es ist erstaunlich, bei wie vielen Menschen diese kleine Verhaltenskette erleichterte Kommentare zur Folge hat: „Der gehorcht aber toll!“ „Der hört ja wie ne eins!“ „Der ist aber brav!“ Oder es kommt einfach ein lächelndes „Danke schön!“ Man sieht vielen Menschen förmlich an, wie erleichtert sie sind. Ein großer schwarzer Hund – oder überhaupt ein Hund – ist, kaum zu glauben, aber wahr, nicht jedermanns Sache.

 

Mein Hund muss natürlich nicht parieren, gehorchen oder brav sein. Damit hat unsere Regel rein gar nichts zu tun. Es geht hier nicht um Rudelführergedöns, ich muss niemandem beweisen, dass ich Chef meines Hundes bin, denn das bin ich nicht. Ich verstehe mich als Schutzbefohlene und als Person, die, das „big picture“ im Blick, vorausschauend erahnt, welches Chaos mein Hund verursachen könnte, würde ich ihn gewähren lassen. Und da ich weiß, dass ich nicht allein auf der Welt bin und Rücksichtnahme etwas Feines ist, von der ich selber auch manchmal gerne profitiere, verstehen sich bestimmte Verhaltensregeln für mich einfach von selber. Ich furze ja auch nicht in Anwesenheit anderer Personen oder schmatze beim Essen. Das hat nicht zuletzt auch etwas mit Respekt zu tun 😉

 

Stressfrei durch die Situation mit simplen Verhaltensregeln

Und so sehe ich es als meine Aufgabe als Hundehalterin an, dafür zu sorgen, dass nicht nur mein Hund Spaß hat, wenn wir draußen sind, sondern er auch für niemanden eine Gefahr darstellt, keine Unfälle verursacht oder andere Lebewesen allein durch seine Anwesenheit ängstigt. In dem ich meinem Hund zeige, welches Verhalten ich in einer bestimmten Situation von ihm erwarte, mache ich es ihm, mir und vor allem dann auch allen anderen leichter, stressfrei durch bestimmte Situationen zu kommen. In meiner kleinen Welt ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

 

Umso mehr erstaunt mich immer wieder, wie anders das andere Hundebesitzer*innen sehen. Gerade las ich von einem Vorfall, dass ein freilaufender Hund ein Pferd ansprang, dieses scheute und das 11jährige Mädchen abwarf. Das Mädchen hatte zum Glück „nur“ leichte Verletzungen. Ein Horrorszenario! Ich stelle mir gerade vor, mir wäre das passiert: Durch MEINEN Hund, den ich nicht im Griff hätte, wäre ein Mädchen zu Fall gekommen und hätte ein Pferd in Panik versetzt! Egal ob leicht verletzt oder nicht: Ich wäre schuld daran gewesen, dass ein Mädchen von einem Pferd fällt, zukünftig vielleicht Angst davor hat, auszureiten oder Hunde auch nur von Weitem zu sehen, ganz zu schweigen von dem Pferd, das ab sofort vielleicht Hunde ziemlich scheiße finden, scheuen und erneut seinen Reiter in Gefahr bringen würde.

 

Auch die Haftpflicht entbindet nicht vor der Verantwortung

Doch andere Leser sahen das ganz anders. So lautete der Kommentar eines Hundebesitzers beispielsweise, dass es ja nicht so schlimm gewesen sei und es selbst für schlimmere Fälle eine Haftpflicht gäbe. (What the....???) Sein Hund hätte das Recht auf Freilauf, solle immer freilaufen dürfen und käme sowieso nicht zurück, wenn er ihn riefe, da er noch viel zu jung dafür sei und Hundeschulen durch den Lockdown gerade eh nicht offen hätten, um einen Rückruf zu erlernen.

 

Tja. Was soll man dazu sagen?

 

Überspitzt ist diese Meinung für mich Sinnbild der Hundeszene, denn sie ist in allen möglichen Varianten leider keine Ausnahme. In gefühlt 80 Prozent aller Fälle erlebe ich solcherlei Rücksichtslosig- und Gedankenlosigkeiten auf meinen Gassirunden, so dass mich längst nicht mehr wundert, warum unser Ruf allgemein so schlecht ist: Wir Hundehalter*innen erscheinen häufig als grenzenlose Egoisten, die glauben, die Welt kreise nur um sie und ihre Hunde, und die sich nicht im mindesten vorstellen können oder wollen, wieviel Stressausschüttung ein freilaufender Hund für andere bedeuten kann. Und was mich dabei aber am allermeisten wundert, ist, dass aus uns so wirklich gar kein Unrechtsbewusstsein sprechen mag – im Gegenteil: Wir sind in der Regel fest überzeugt, im Recht zu sein: Ein freilaufender Hund attackiert meinen angeleinten, und statt einer Entschuldigung ernte ich wüste Beschimpfungen, dass das nur passiert sei, weil mein Hund angeleint gewesen wäre. Und vermutlich wäre der ja auch nur angeleint, weil ich ihn anders nicht im Griff hätte? Da sollte ich doch mal zur Hundeschule gehen, um an der Bindung zu arbeiten. Als ich solcherlei Logik zum ersten Mal hörte, stand ich fassungslos da. Ich konnte nicht glauben, wie man vollkommen überzeugt und selbstgefällig aus Schwarz Weiß machen kann. Ich dachte damals, das sei gewiss eine Ausnahme gewesen. Heute weiß ich natürlich, dass Hundebesitzer*innen der chronisch-unangeleinten Fraktion von "Unter-sich-Reglern" eine ganze Latte solcher rhetorischen Paukenschlägen im Repertoire haben. Fassungslos macht mich das hin und wieder trotzdem noch. 

 

Aber mal ehrlich. Muss das wirklich so sein? Ich finde, nein. Mit wenigen Mitteln kann man viel ändern!

  • Leine deinen Hund an, wenn dir jemand entgegenkommt und du nicht sicher bist, dass er freiwillig bei dir bleibt.
  • Damit das auch gelingt, agiere vorausschauend, sei aufmerksam (und lass mal dein Handy in der Tasche 😉 ) und rufe ihn rechtzeitig, bevor er abdüsen kann.
  • Lass deinen Hund nicht im Freilauf rennen, wenn er nicht abrufbar ist! Benutze eine Schleppleine so lange wie und wo nötig.
  • Investiere Zeit in ein gutes Rückruftraining. Wer kein Geld Vor-Ort-Training investieren mag: Es gibt auch gute Videos im Internet, die nur wenig kosten (z. B.: Rückruftraining mit Videos von Top-Hundetrainern auf hey-fiffi.com).

Ein Dankeschön und ein Lächeln deiner Mitmenschen wird dein Lohn sein. Positive Stimmung statt Zoff: Ist das etwa nichts?

 

Freilauf ist wichtig - doch nur da, wo andere nicht gestört werden!
Freilauf ist wichtig - doch nur da, wo andere nicht gestört werden!

Und für die, die gerne den Rudelführer mimen: Wenn dein Hund tatsächlich deinen (Rückruf-)Worten folgt und die Leute voller Ehrfurcht gegenüber dir als Chef sind – na, ist das dann nicht eher ein Grund die Brust schwellen zu lassen? 😉